B. Kümin: Landgemeinde und Kirche im Zeitalter der Konfessionen

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Titel
Landgemeinde und Kirche im Zeitalter der Konfessionen.


Herausgeber
Kümin, Beat
Erschienen
Zürich 2004: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
205 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sebastian Brändli

Der Reader mit einem Vorwort von Peter Blickle vereinigt sechs Beiträge zum im Titel genannten Spannungsfeld. Diese bestreichen geographisch weit auseinanderliegende, recht unterschiedliche Situationen der frühen Neuzeit, werden aber durch die konzeptionelle Klammer des Kommunalismus ebenso wie des Konfessionalismus erfreulich gut zusammen gehalten. Dies ist sicher einerseits das Resultat einer möglicherweise erstaunlichen Situation: dass ungeachtet der recht unterschiedlichen gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse in den vielen Regionen der Frühen Neuzeit die Ebene Pfarrei bzw. Gemeinde eine wichtige Rolle spielt: «Praktisch überall hatte sich die Pfarrei des Wohnorts als unbestrittenes Zentrum des religiösen Lebens etabliert» (Kümin, S. 150). Natürlich schuldet der Band seine Anlage auch der internationalen Forschung, die sich in der Untersuchung der frühen Neuzeit auf einen stark lebensweltlichen Akzent verständigt hat. Nicht zuletzt ist das Werk aber eine Leistung des Herausgebers, der seine persönlichen Forschungskontakte eingesetzt und neben üblicher Herausgebertätigkeit auch ein besonderes Mass an Übersetzungstätigkeit – im buchstäblichen ebenso wie im übertragenen Sinne – geleistet hat. Neben, geographisch an kleineren und grösseren Regionen orientierten, Beiträgen zu Graubünden (Randolph C. Head)1, England (Beat Kümin), Russland (Petr Stefanovitch) und «Erfurter Landschaft» (Ulman Weiss) stehen thematische Artikel zum Bauerntanz (Walter Salmen) und zur Barockarchitektur (Peter Hersche).

In verschiedener Weise reflektieren die Beiträge die Rolle der Konfession, insbesondere in religiös-organisatorischen Fragen, für die Bildung und Entwicklung von Landgemeinden, wobei überall deutlich wird, dass die Reformation mit ihren religiösen, politischen und praktischen Impulsen für die Gemeindeentwicklung zwar wichtig, keineswegs aber allein entscheidend war. Eine besondere Beachtung verdienen die beiden Artikel zu Graubünden und England, die beide auch auf vorreformatorische Entwicklungen eingehen und sich durch besondere Tiefe und Breite der Fragestellung auszeichnen. Beide Autoren sind fähig, «ihre» Entwicklungen in grössere Zusammenhänge einzuordnen, dies wohl auch deshalb, weil aus ihrer Feder bereits grössere, gewichtige Monographien zum Gegenstand vorliegen. Zudem sind auch beide Regionen für die Fragestellung in hohem Masse geeignet, was insbesondere auch durch die Quellenlage gegeben ist: Den generell guten Archiven der Bündner Gemeindeentwicklung stehen die auskunftsfreudigen Rechnungsbücher der englischen Pfarreien kaum nach.

Kommunalismus zielt letztlich auf das Selbstbestimmungsrecht der dörflichen Gemeinschaft, Konfessionalismus betont die Wichtigkeit der Konfession (auch) für die Sozial- und Kulturgeschichte. An einem Punkt wird die Konfrontation der beiden -ismen besonders greifbar: Welche Beziehungen bestehen zwischen dem Selbstbestimmungsrecht von Gemeinden (demokratische Frage) und der individuellen Freiheit des Glaubens (liberale Frage)? Anders gefragt: Welche innergemeindlichen Lösungen der Konfessionalismusfrage werden für demokratisch entscheidbar angesehen? Oder noch konkreter: Soll durch Mehrheitsbeschluss einer (zum Entscheid dieser Frage legitimierten) Gemeinde die Konfessionsfrage aller Gemeindemitglieder entschieden werden («cuius regio, eius religio»), oder bleibt der unterlegenen Minderheit ein unveräusserliches Recht auf Religionsausübung oder gar ein Recht auf Anteil an den gemeinsamen Ressourcen zur Religionsausübung (Kirchen-/Pfarrei- bzw. Gemeindebesitz)? In dieser extremen Zuspitzung musste aus Gründen der übergeordneten Gemeindeentwicklung nur Graubünden historisch Stellung nehmen: Head zeigt souverän, wie in Bündner Gemeinden diese sehr neuzeitlich wirkende Frage (19. Jh.) bereits im 16. und 17. Jahrhundert gestellt wurde und beantwortet werden musste.

1 Randolph C. Head, Early Modern Democracy in the Grisons. Social Order and Political Language in a Swiss Mountain Canton, 1470–1620, Cambridge 1995 (auf Deutsch: Zürich, 2001); Beat Kümin, The Shaping of a Community: The Rise and Reformation of the English Parish c. 1400–1560, Aldershot 1996.

Zitierweise:
Sebastian Brändli: Rezension zu: Landgemeinde und Kirche im Zeitalter der Konfessionen. Hg. von Beat Kümin. Zürich, Chronos, 2004. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 2, 2005, S. 247-248.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 2, 2005, S. 247-248.

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